Einführungsrede von Prof. Günther Wirth (Im Kunstverein Heilbronn)

deutsch

         Die Kunst aus der Natur herausreißen, wie es Dürer zum Programm erhob, das ist der eine Weg. Er ist breit, gepflastert mit Abstraktionen vieler Grade. Es ist gewissermaßen der Hauptweg zur Kunst bis in unsere Gegenwart hinein. Was auf ihm entstand, macht die Entwicklung der bildenden Kunst seit dem Mittelalter bis heute aus, präsentiert Kunstgeschichte, die zahllose Kunsthistoriker zu

Untersuchungen und Beurteilungen motiviert, in denen sich Objektivität und Subjektivität auf fast undefinierbare Weise verschränken, zumindest in den meisten Fällen.

 

Parallel zur Natur arbeiten, das ist der zweite Weg, wie ihn vor allem Paul Klee beschritt, kecker als der erste, noch mehr von der Schöpferkraft des Menschen und des Künstlers überzeugt, ein Weg zu neuen bildnerischen Zeichen, der kreativen Phantasie ab gewonnen. Form aus Geist, Intellekt und Empfindung, unterwegs in der Hoffnung auf neue Ur-Formen, wie Goethe ja auch schon auf der Suche nach der Urpflanze war. Aber wenn wir mal ein wenig kritischer schauen, sehen wir, dass die gefundenen Urformen – bleiben wir bei Klee – nur Grundformen sind: einmal aus dem Bereich der Geometrie, zum anderen aus dem Bereich der Natur. Das eigentliche Phänomen bleibt das Prinzip der Zuordnungen, des kompositorischen Vollzugs. Daraus resultiert der innere Klang, der uns berührt, natürlich nicht nur bei Klee.

 

Sich zunächst einmal damit zu bescheiden, indem man versucht Naturprozesse geistig, sinnlich und schließlich bildnerisch nachzuvollziehen, das ist der dritte Weg, den Stefan Soravia eingeschlagen hat und den er mit Beharrlichkeit verfolgt. Er selbst nennt das ein sich „Einklinken in Naturprozesse“. Das ist eine sehr anschauliche Formulierung, die den Künstler auch gleich abhebt von den so genannten „Spurensuchern, die sich der Mühe des Einklinkens eben nicht unterziehen, sondern immerzu sammeln und ordnen, die graben, rechen und anhäufen und das, was sich einst vollzog, ästhetisch verunklären.

 

Stefan Soravia gehört nicht zu diesen lieben Leuten, denn wer sich einklinkt in die unendliche Endlichkeit der Naturprozesse, der ist gezwungen, einer ungeheueren Kraft standzuhalten, die ihn permanent übersteigt. Er muß also listig sein, sensibel, in jedem Moment die neuen Differenzierungsmöglichkeiten erkennen und deshalb auf ihn und sie zu reagieren. Er muß seine Arbeit vor Ort in Gang bringen, inmitten der Natur, in sich ein anderes Zeitempfinden wie ein von gesellschaftlichen Zwängen bestimmter Mensch aneignen. Er muß Ernst machen mit dem erleben seiner Individualität angesichts des scheinbar unendlichen Ablaufs von Naturprozessen, und er muß seine Individualität qualitativ verfeinern, um aus dem „Einklinken“ eine künstlerische Botschaft herauszufiltrieren, die den prozessualen Charakter, der den Naturerscheinungen zu eigen ist, manifestiert: im Objekt, im Abdruck, im Bild.

 

Darum geht es Stefan Soravia in sehr ernsthafter Weise, wie es mir nicht nur im Gespräch mit ihm klar geworden ist, sondern auch durch die Beschäftigung mit seinen Arbeiten, von denen wir hier einen Teil im Heilbronner Kunstverein sehen.

 

In einem abgelegenen Flusstal in den Dolomiten arbeitet Stefan Soravia an seinen Objekten und Objektbildern, wobei die Natur die Kunst macht und er selbst die Natur benutzt. Naturfremde Elemente sind Stoff und Farbe, insoweit die Farbe nicht aus dem Rost der Eisenadern des Gesteins gewonnen wird. Da wird zum Beispiel Baumwollstoff in das Naturereignis, das sich in und am Fels abspielt, in einer verlassenen Mine, die fast tausend Jahre in Betrieb war, hineingehängt. Der Künstler wählt den Ort, die Natur macht das Bild.

Anders ist der Vorgang, wenn Soravia auf den Felsen malt, einmal mit Graphit und Acryl, dann in einer zweiten Fassung mit Rostpigment und dann vom Felsgrund abdruckt wie in „Cava dòro III“.  Hier macht die Natur die Struktur, wie das auch in den mehrteiligen Arbeiten mit Ablauf von Borke zur Maserung zur malerischen Interpretation der Fall ist.

 

Wiederum anders konzipiert sind die „Förderwege“, wo das Gummi der alten Förderbänder aus der Mine das Bindeglied zur Gesellschaft und zur Zivilisation symbolisiert. Statt Abstraktion also Symbolik, die des Eingrabens, des Förderns, das herholen des Eisendrahtes aus dem Dunkel als humaner eingriff in die Natur. Oder das Gerät des Eindringens, veranschaulicht durch den Eisenpickel am Ende des Förderbandteils und das Durchstoßen bis zum erzhaltigen Stein, der hier zum Fundstück wird.

Oder das auch in der Einladung publizierte, mehrteilige Objekt mit „Segel, Ruder, Gerät“. Hierbei handelt es sich bei dem so genannten Segel um ein vom Hochwasser abgerissenes Tuchfragment, das Stefan Soravia wieder fand, beim Ruder um die phantasievolle Gestaltung eines praktischen und funktionalen Stückes, mit dem man im Fluß wirklich agieren kann und bei den langstieligen Quasten aus Besenginster um Werkzeuge, mit denen man Rostpigmente sammeln kann. Mit einem der Werkzeuge ist das rostfarbige Band an der Wand gezogen oder gemalt worden. Künstler und Natur ergänzen sich arbeitsprozessual in diesem schönen Objekt.

 

In einer weiteren Arbeit – „ansa d’aqua“ – symbolisiert eine Glasscheibe die Spiegelungsmöglichkeiten des Wassers, doch in den sechs Wassertüchern hat das Wasser selbst jeweils zwei Wochen lang so etwas wie schöpferische Arbeit geleistet. Wer sich diese naturhaften Ergebnisse des Fließens genauer ansieht, wird wohl auch darauf stoßen, dass materielles Fließen zum geistigen Fließen werden kann, wenn man empfindungsmäßig und nicht rational übersetzt. In der Tat weisen uns diese Arbeiten auf die Kehrseite des Rationalen hin, auf die differenzierten Felder des Empfindens. Daraus ergibt sich ganz zwanglos ein meditativer Aspekt und gerade dieser wird für Sie, meine Damen und Herren, vielleicht die Entdeckung sein und Sie von der Oberfläche in die Tiefe der Objekte führen, die Ihnen sicherlich zunächst abweisend erscheinen. Ich denke hier auch an die kleinen Formate mit dem Ausgangspunkt Stein oder an die durchgedrückten Holzstrukturen direkt auf Stoff.

 

Fast unauffällig zieht die von Empfindung geprägte Kraft Stefan Soravia ein Fazit  in seinem Mappenwerk mit einer Holzstruktur, einer Rindenstruktur, einer Steinstruktur, einem Naturocker, einem Wassertuch und einem Rosttuch – alles Originale mit leiser Hinwendung zum Alchemistischen, in dem sich Naturprozesse am geheimnisvollsten spiegeln, und im Seriellen, in dem die Unaufhörlichkeit des Daseins in lauter in sich differenzierten Notationen beschworen wird, so dass wir vielleicht stiller werden als gewöhnlich.

 

Günther Wirth